Jahresbericht der Bahnhofsmission für 2021

Neues Jahr mit alten Schwierigkeiten:
Die Pandemie hat die Gesellschaft auch in 2021 fest im Griff. Die Verbindung zu den Hilfesuchenden herzustellen und zu halten, blieb das bestimmende Element unserer Arbeit am Bahnhof. Dies war nicht immer einfach unter den harten Kontaktbeschränkungen des langen Lockdowns im Winter20/21. Nach wie vor galten und gelten in unserem Gastraum eine begrenzte Aufenthaltsdauer von maximal 30 Minuten, das Angebot von höchstens drei Sitzplätzen, regelmäßiges Stoßlüften, egal wie kalt es draußen ist und die Kontaktdatenerfassung aller Gäste. Im Herbst 2021 kam dann noch die 3G-Regelung für das Betreten unserer Räume der Bahnhofsmission hinzu. Seitdem kontrollieren wir auch noch Impf-, Test- oder Genesenen-Status der Hilfesuchenden. Dennoch konnten wir die Bahnhofsmission durchgängig offenhalten. Bisher hat sich auch noch niemand im Team mit Corona infiziert.

Wie wichtig offene, niedrigschwellige Einrichtungen wie die Bahnhofsmission in diesen besonderen Zeiten als Anlaufstelle für Bedürftige sind, schlägt sich auch in den Zahlen der Jahresstatistik nieder:

  • 5091 Kontakte zu Hilfesuchenden hat es in 2021 gegeben, so viele wie noch in keinem Jahr zuvor. Davon hielten sich 4569 Menschen im Gastraum der Bahnhofsmission auf.
  • Lediglich 372 Kontakte mit Reisenden wurden über das Jahr gezählt. Auch die Zusammenarbeit mit oder Vermittlung an andere Bahnhofsmissionen war wenig gefragt (16 Anfragen). Die Reisewarnungen und –Beschränkungen aufgrund der Pandemie wirkten hier weiter nach.
  • 3998 Menschen (das sind 78% aller Kontakte) wendeten sich in besonderen sozialen Schwierigkeiten an die Bahnhofsmission. Von diesen Gästen wiederum waren 77% männlich. Ein Geschlechterverhältnis, welches sich in den letzten Jahren verfestigt hat.
  • Bei 48 % der Hilfesuchenden lag zudem eine Sucht- und/oder psychische Erkrankung vor. Auch dies eine traurige Konstante seit Jahren, die in den meisten Bahnhofsmissionen zu beobachten ist.
  • 512 Personen mit körperlicher und/ oder geistiger Behinderung suchten die Bahnhofsmission im Jahr 2021 auf. Viele davon sind „Stammgäste“, die unsere Einrichtung als Schutzraum und wichtigen Tagesstrukturpunkt schätzen.
  • Die Hilfeleistungen im Einzelnen:
    • 4925 kleine Hilfen/Auskünfte und Gespräche
    • 62 Beratungs- oder seelsorgerische Gespräche
    • 117 Kontakte zu oder Vermittlung an Dritte (Fachberatungsstellen, Behörden, ect.)
    • 13 Kriseninterventionen
    • 2009 materielle Hilfen in Form von Kleidung, Schuhen, Schlafsäcke, Brote, Suppen
    • 164 Hilfen im Reiseverkehr
    • 208 Anfragen/ Beschwerden wegen defekter Toiletten im Bahnhof
  • 3740 Stunden ehrenamtlicher Arbeit wurden im Jahr 2021 erbracht, um den Betrieb der Bahnhofsmission verlässlich aufrecht zu erhalten.
  • Das Team der Ehrenamtlichen umfasst inzwischen 7 Männer und 9 Frauen in gemischer Altersstruktur: Berufsschüler, Studenten, Berufstätige und (Früh)-Verrentete. Besonders erfreulich ist der Zuwachs an männlichen Kollegen, sodass das Geschlechterverhältnis nun fast ausgeglichen ist. Einige Ehrenamtliche kommen mehrmals die Woche, manche nur ein bis zweimal im Monat, je nach Zeitbudget. Einige Ältere pausieren während der Zeit mit sehr hohen Infektionsraten ganz.
  • Die Bahnhofsmission ist werktags 36 Stunden geöffnet: Montag und Mittwoch bis Freitag von 9.00-17.00 Uhr. Dienstags öffnet sie erst um 13.00 Uhr, damit vormittags Dienstbesprechungen abgehalten werden können.

Aktivitäten

Die Pandemie und insbesondere der lange Lockdown im Winter 20/21 mit geschlossenen Geschäften und Gastronomie, begrenzter Zugangs- und Aufenthaltsmöglichkeiten in sozialen Einrichtungen sowie die (gefühlte) Abschottung öffentlicher Behörden (Jobcenter, Sozialamt, Bürgerbüro usw.) für den Kundenverkehr trafen einmal mehr diejenigen der Gesellschaft am härtesten, für die die Bewältigung des Alltags und die Befriedigung von Grundbedürfnissen auch ohne pandemische Einschränkungen schon eine Herausforderung darstellen.
Die Versorgungslücken an anderer Stelle mussten und müssen z.T. in der Bahnhofsmission gefüllt werden:

  • (Warme) Kleidung und Schuhe.
  • Frische Medizinische und/ oder FFP2-Masken
  • Verpflegung (Brot, Aufstrich, Kaffee, Tee, Milch)
  • Handhygiene

All diese zusätzlichen Bedarfe müssen beschafft und übersichtlich aufbewahrt werden. Dafür fehlte der Bahnhofsmission bisher der entsprechende Stauraum. Dank eines finanziellen Zuschusses aus dem Sozialfonds der Stadt Hildesheim, konnte aber im Herbst endlich ein großer Wandschrank angeschafft werden, in dem die benötigten materiellen Hilfen verstaut werden können. Der Schrank wurde vom Verein „Arbeit und Dritte Welt e.V.“ maßangefertigt und eingebaut.

Nach einem Jahr Pandemie hat uns die Deutsche Bahn endlich ein Handwaschbecken im Vorraum unserer Einrichtung installiert. Das Angebot wird nicht nur von unseren Stammgästen sondern durchaus auch von Reisenden genutzt.

Mithilfe einer finanziellen Unterstützung aus der alljährlich vom NDR veranstalteten großen Spendensammelaktion „Hand in Hand für Norddeutschland“ konnte der Einbau von Luftreinigungsgeräten in den Gast- und Mitarbeiterräumen der Bahnhofsmissionen realisiert werden. Diese sorgen für zusätzlichen Schutz der Gäste und Mitarbeiter vor Infektionen, die überwiegend durch Aerosole übertragen werden.

Anhand der zahlreichen Sach- und auch Geldspenden, die uns im Jahr 2021 erreichten, lässt sich ablesen, dass die Notwendigkeit der Bahnhofsmission als niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen in Notlagen durchaus in der Öffentlichkeit wahrgenommen und geschätzt wird. Darauf sind wir angewiesen und dafür sind wir sehr dankbar!

Öffentlichkeitsarbeit

Klassische Öffentlichkeitsarbeit war auch im zweiten Jahr der Pandemie schwierig und kompliziert. Wieder entfielen sowohl der der „Tag der Bahnhofsmission“ als auch die Weihnachtsandacht in der Bahnhofshalle.
Dennoch war die Bahnhofsmission nach Außen präsent und sichtbar:

  • Bei der Verleihung des Ehrenamtspreises der Hildesheimer Bürgerstiftung an das Team der Bahnhofsmission für sein besonderes Engagement für Menschen in Not während der Pandemie.
  • Mit einem Informationsstand in der Fußgängerzone.
  • Beim Fahrradpilgern zusammen mit den Superintendenten der benachbarten Kirchenkreise Burgdorf und Hildesheim nach Lehrte mit Pilgerandacht unterwegs und gemeinsamem Mittagessen in der Lehrter Bahnhofsmission.
  • Beim diesjährigen Diakoniegottesdienst am Ende der „Woche der Diakonie“, der dem Thema „Ehrenamt in der diakonischen Arbeit“ des Kirchenkreises gewidmet war.

Ausblick

Die Pandemie wird wohl auch in 2022 unseren Alltag und die Stimmung im Gastraum weiter bestimmen. Diskussionen über Sinn und Zweck der Maßnahmen werden zunehmend hitziger geführt. Gerade am Thema Impfen und Testen spüren wir, dass bestimmte Teile der Gesellschaft inhaltlich längst abgehängt sind und nicht mehr verstehen, was gerade gilt und warum. Verschwörungsmythen und einfache Erklärungsmuster für komplizierte naturwissenschaftliche Sachverhalte haben da leichtes Spiel.
Für die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission ist es daher sehr mühsam, die für alle geltenden Regeln immer wieder zu erklären und durchzusetzen. Das Kontrollieren von Impfnachweisen und tagesaktuellen Schnelltests führt nicht selten zu Diskussionen bis hin Beschimpfungen.
Es passt auch eigentlich nicht zur Idee der Bahnhofsmissionen, grundsätzlich für Jeden da zu sein und Hilfe zu leisten, ohne Vorbedingungen und die Kontrolle von Dokumenten.
Hoffen wir also, dass uns das neue Jahr dem Ende der Pandemie ein gutes Stück näher bringt.

Susanne Bräuer, Leitung der Bahnhofsmission