Beratung unter freiem Himmel

Nachricht 21. Juli 2020

Notlösung entpuppt sich als Gewinn

Die Luft ist frisch, der Blick schweift weit über Weinstöcke hinweg bis zur entfernten Silhouette der Stadt. Der Weg zum Beratungsgespräch führt vorbei an betörend duftenden Rosen: Das Diakonische Werk Hildesheim bietet Paar- und Familienberatung jetzt auch im Magdalenengarten unter freiem Himmel an – eigentlich eine coronabedingte Notlösung hat sich das Angebot als echter Gewinn entpuppt. „Für viele Menschen bedeutet dieser Ort eine totale Erdung. Sie können hier viel offener über ihre Gefühle reden“, hat Ehe- und Familienberater Thilo Korek beobachtet.

Nach dem Lockdown am 16. März konnten die Beratungen für Menschen in existentiellen Notsituationen, bei Schulden, in persönlichen Krisen oder Beziehungskonflikten nur noch telefonisch, später immerhin auch per Video stattfinden. Das habe zum Teil zwar gut funktioniert, sagt Thilo Korek. Aber ein gleichwertiger Ersatz für das persönliche Gespräch sei es nicht: „Es fehlen die unbewussten Anteile, die durch Gestik, Mimik und Körperhaltung ausgedrückt werden“, erklärt er. Nur die Schwangerschaftskonflikt-Beratung durfte immer persönlich stattfinden, wie vom Gesetz vorgeschrieben.

Die Berater*innen in der Klosterstraße 6 sind froh, dass auch die übrigen Gespräche wieder „live und in Farbe“ vor Ort angeboten werden können. Nehmen mehr als zwei Personen teil, bietet das große Besprechungszimmer genug Platz für Abstand, außerdem gibt es Trennscheiben. „Gespräche zu zweit können wir mit ausreichend Abstand aber auch ohne Scheibe führen. Da geht es schließlich um Gefühle“, betont Korek. Matthias Böning, Geschäftsführer des Diakonischen Werks, lobt die Kreativität und das Engagement der Berater*innen in allen Fachbereichen bei der Suche nach Lösungen.

Eine telefonische Anmeldung ist allerdings noch in allen Fällen notwendig. Und auch die offene Sprechstunde funktioniert zurzeit nur am Telefon: „Montags bis freitags zwischen 9 und 12 Uhr ist zuverlässig eine kompetente Person erreichbar“, versichert Sozialberaterin Gisela Sowa. Sie weiß, dass es oft schwerfällt, das Anliegen am Telefon in Worte zu fassen, und appelliert an Ratsuchende: „Melden Sie sich, lassen Sie sich nicht abschrecken.“

Denn Notsituationen gibt es durch die Pandemie noch mehr als sonst, weiß Gisela Sowa: „Vor allem durch Verdienstausfälle, zum Beispiel bei Studierenden, Mini-Jobbern, befristet Beschäftigten oder durch Kurzarbeit“, erklärt die Sozialberaterin. Da es bei Verordnungen, Hilfsprogrammen und Erreichbarkeit der Ämter dauernd Veränderungen gebe, fänden sich Menschen auf der Suche nach Unterstützung allein oft nicht zurecht.

Hinzu kämen Ältere, die besonders unter Einsamkeit leiden: „Die Gesundheitskurse finden vielleicht noch nicht wieder statt, und die Person, die das Mittagessen bringt, bleibt nicht, um ein bisschen zu plaudern“, erläutert Sowa. Viele Mütter habe die fehlende Kinderbetreuung, oft gepaart mit finanziellen Sorgen, an ihre Grenzen gebracht, ergänzt Korek. „Sie fühlen sich deshalb als Versagerinnen. Da hilft es schon zu hören, dass es anderen ebenso geht. Die psychische Entlastung ist sehr wichtig“, erklärt der Familienberater.

Immerhin – in Einzelfällen habe die Corona-Krise auch positiv gewirkt, erzählt Thilo Korek: „Manche Paare hatten dadurch plötzlich mehr Zeit füreinander und kommen jetzt wieder miteinander klar.“   Wiebke Barth

Infos:

Allgemeine Sozialberatung, Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung sowie Stiftung Familien in Not erreichbar unter Tel. 05121/1675-0; Schuldnerberatung 05121/1675-13; Ehe- Familien- und Lebensberatung 05121/1675-40. Weitere Informationen auf www.diakonie-hildesheim.de.

Bild:

Thilo Korek und Gisela Sowa haben unter einem Pavillon im Magdalenengarten Platz genommen, wo zurzeit auch Beratungsgespräche stattfinden. Foto: Wiebke Barth

 

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